Kategorie: Gedanken

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Eine Hütte und die Menschenwürde

Am letzten Wochenende war ich wieder eingeladen, ein Glaubenszeugnis abzugeben. Das Thema ist mir ein Herzensthema. Die Wichtigkeit wächst in meiner Wahrnehmung von Tag zu Tag. Wir müssen zusammenstehen und zusammenhalten. Die Würde eines jeden Menschen zählt.
Der Gottesdienst fand im Rahmen der Eröffnung meiner Ausstellung Mensch. Würde. Unantastbar. statt.
Das Evangelium findet sich im Lukasevangelium (Lk 9,28b-36).

Liebe Gemeinde,
das heutige Evangelium erzählt uns von einem besonderen Moment:
Jesus steigt mit drei seiner Jünger auf einen Berg – und plötzlich geschieht etwas Unglaubliches. Sein Gesicht verändert sich, seine Kleider werden leuchtend weiß, und Mose und Elija erscheinen bei ihm. Die Jünger sind überwältigt. Petrus will diesen heiligen Moment festhalten, Hütten bauen, um die Herrlichkeit nicht wieder gehen zu lassen. Doch dann spricht eine Stimme aus der Wolke: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“

Ein tief beeindruckendes Ereignis für die Jünger und auch noch für uns heute. Es zeigt uns, wer Jesus wirklich ist: der Sohn Gottes, der Glanz seiner Herrlichkeit, die sichtbare Würde Gottes auf Erden. Und es sagt uns gleichzeitig etwas über uns selbst: Auch wir tragen eine göttliche Würde in uns

Petrus will Hütten bauen. Eine Hütte – das ist ein Ort der Geborgenheit, der Sicherheit, ein Ort, an dem ich sein kann, wie ich bin. Hier muss ich mich nicht beweisen. Hier darf ich Fehler machen und werde trotzdem geliebt.
Aber was ist mit all denen, die keine solche Hütte haben?

  • Mit Menschen, die in ihren Familien nicht willkommen sind.
  • Mit Menschen, die keine Wohnung haben und auf der Straße leben.
  • Mit Menschen, die ihr Zuhause verloren haben und nun in unserem Land Schutz suchen.

    Es gäbe noch viele mehr zu nennen.

Können wir ihre „Hütte“ sein? Kann unsere Gesellschaft, kann jeder von uns einen Ort schaffen, an dem Menschen Würde erfahren? Bin ich dazu bereit? Traue ich mir das zu? Habe ich den Mut?

Foto: Michele Tardivo auf unsplash.com

Wenn ich mir jedoch vorstelle, dass ich mit anderen in einer Hütte lebe, wird mir eines klar: Nicht alle werden meiner Meinung sein. Menschen, die mit mir in der Hütte sind, denken anders, fühlen anders, glauben vielleicht anders. Und das bedeutet: Ich muss Kompromisse eingehen.

Kompromisse sind nicht immer leicht. Sie erfordern, dass ich den anderen sehe und anerkenne – auch wenn ich ihn nicht verstehe. Kompromisse bedeuten, dass alle den gleichen Raum und die gleichen Rechte bekommen. Niemand kann sagen: „Mein Platz ist wichtiger als deiner.“ Würde heißt, dass jeder Mensch denselben Wert hat – unabhängig von seiner Meinung, seiner Herkunft oder seinem Lebensweg.

Doch was bedeutet das für meine eigene Geborgenheit? Bleibt sie bestehen, wenn andere mit ihren Vorstellungen, ihren Fragen und manchmal auch ihren Konflikten in meine Hütte kommen? Ja, wenn wir Geborgenheit nicht als Abschottung, sondern als geteilten Raum verstehen. Geborgenheit entsteht nicht dadurch, dass alle gleich denken, sondern dass alle sich respektiert fühlen. Das Zusammenleben unterschiedlicher Menschen kann immer wieder eine Herausforderung darstellen. Aber die Gemeinschaft kann wachsen und stärker werden, wenn sie auf Respekt, Zuhören und Vertrauen gegründet ist.

Wie oft erleben wir in unserer Gesellschaft, dass Menschen ausgegrenzt werden, weil sie anders denken? Wie oft sehen wir Streit, bei dem keiner bereit ist, auf den anderen zuzugehen? Doch eine Hütte, die Bestand haben soll, braucht etwas anderes: Respekt, Zuhören, gemeinsame Wege finden.

Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Unsere Würde ist nicht von unseren Leistungen abhängig. Sie wird uns nicht erst verliehen – sie ist uns geschenkt. Jeder Mensch hat sie – der Gesunde und der Kranke, der Reiche und der Arme, der Geflüchtete und der Einheimische, das ungeborene Kind und der alte Mensch.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Art. 1 GG

Doch wenn wir in die Welt schauen, sehen wir, dass diese Würde oft verletzt wird. Menschen werden ausgegrenzt, abgewertet, missachtet. Unsere Gesellschaft urteilt schnell: „Was leistet jemand? Was bringt er?“ Bringt er nichts, hat er für uns keinen Wert.
Doch Gott sieht anders: Er sieht nicht zuerst, was wir tun, sondern wer wir sind.

Die Jünger haben Jesus an diesem Tag mit neuen Augen gesehen. Gott hat ihnen die Augen geöffnet.
Für mich ist es auch die Einladung an uns: Die Würde des Menschen mit den Augen Gottes zu sehen.

  • Wer heute auf der Straße einem Obdachlosen begegnet, kann sich fragen: Sehe ich nur die Armut – oder sehe ich einen geliebten Menschen Gottes?
  • Wer in der Schule oder am Arbeitsplatz einen Außenseiter bemerkt, kann sich fragen: Gehe ich vorbei – oder erkenne ich seine Würde?
  • Wer Nachrichten über Krieg, Flucht oder Ungerechtigkeit sieht, kann sich fragen: Bleibe ich gleichgültig – oder nehme ich wahr, dass es meine Brüder und Schwestern sind?

Gott ruft uns auf, die unantastbare Würde jedes Menschen zu schützen – nicht nur in Worten, sondern in unseren Taten.

Auf dem Berg sagt Gott zu den Jüngern: „Auf ihn sollt ihr hören.“ Was heißt das für uns? Jesus hat uns gezeigt, was es bedeutet, die Würde des Menschen zu achten:

  • Er hat die Kranken berührt, als andere sie gemieden haben.
  • Er hat mit Zöllnern und Sündern gegessen, als andere sie verurteilt haben.
  • Er hat das Leben der Menschen wichtiger genommen als strenge Gesetze.

Wenn wir heute auf Jesus hören, bedeutet das für mich: Wir dürfen nicht wegschauen, wenn die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird.

Petrus wollte Hütten bauen. Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee – aber nicht als Hütten aus Holz oder Stein, sondern als Begegnungsorte, als Zeichen der Liebe, als geschützte Räume für andere Menschen.

  • Ein Lächeln für den, der übersehen wird.
  • Ein offenes Ohr für den, der sich einsam fühlt.
  • Eine helfende Hand für den, der keine Kraft mehr hat.

Jeder von uns kann so einen Ort schaffen – in kurzen Momenten – im Engagement – im Zuhören – im Wertschätzen des Anderen – und so Orte schaffen, an denen Menschen Würde erfahren und sich angenommen und geliebt fühlen.

Die Jünger haben auf dem Berg eine Verwandlung erlebt – nicht nur Jesus wurde verklärt, auch sie haben eine neue Sicht bekommen. Auch wir sind heute eingeladen, uns verwandeln zu lassen.

  • Verwandelt in unserem Denken, damit wir die Würde jedes Menschen erkennen.
  • Verwandelt in unserem Herzen, damit wir mit Liebe auf unsere Mitmenschen zugehen.
  • Verwandelt in unserem Tun, damit wir aktiv für eine gerechtere Welt eintreten.

Liebe Schwestern und Brüder,
lassen wir uns von diesem Evangelium berühren. Lassen wir uns von Gott neu die Augen öffnen. Und lassen wir uns von Jesus führen, damit wir Orte schaffen, an denen Menschen Würde erfahren können.

Amen.

©Angelika Kamlage (2025)

Zum Weitersagen: Es gibt noch Plätze in den Foto-Exerzitien auf Spiekeroog. Danke für Eure Unterstützung.

Die Ausstellung Mensch. Würde. Unantastbar. (Das Video siehe unten)

Echt?!?

Was ist „echt“?

In Zeiten von populistischen Politikeraussagen, gefälschten Meldungen und Bildern, Gerüchten in den sozialen Medien stelle ich mir diese Frage immer häufiger.

Was ist echt an den vollmundigen Versprechen der Verantwortlichen? An den Versprechen zu mehr Sicherheit, härterem Durchgreifen gegen Straftäter, Brandmauern? Dies aber natürlich verbunden mit dem unbedingten Bekenntnis zu den Werten unserer Demokratie?

Wenn das alles echt und ehrlich gemeint ist: Was ist dann mit den anderen Menschen, die aufgrund von sogenannter Echtheit und Notwendigkeit auf der Strecke bleiben oder unter die Räder kommen? Abseits stehen? Abgeschoben werden? Sterben? Sind das dann Kollateralschäden, die hinzunehmen sind?

Ist das die Gesellschaft, in der wir dann leben wollen oder müssen?

Was ist schon „echt“?
Wem kann ich vertrauen? Wem glauben? Das sind schwierige Fragen in diesen Zeiten.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sagt Jesus.
„Liebe und dann tue, was Du willst“, schreibt Augustinus.

Die Liebe als Richtschnur für mein Leben?!
Die Liebe als Prüfstein für Echtheit. Die Liebe als Grund, aus dem heraus ich handle.
Nicht populistische Parolen und Aktionen. Nicht Profitgier. Nicht die Verführung zur Macht. Sondern Liebe ist es, die mich nicht nur echt, sondern auch barmherzig handeln lässt.

Viele Gründe gab es, die mich in den letzten Tagen darüber haben nachdenken lassen, was „echt sein“ heute wirklich braucht. Einer davon, ist das bevorstehende Fest „Lichtmess“ oder „Darstellung des Herrn“. Im Evangelium heißt es da

Und siehe, in Jerusalem lebte ein Mann namens Simeon. Dieser Mann war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe.

Lk 2,25-26

Simeon glaubt. Simeon vertraut. Simeon hofft. Simeon liebt.

etwas wurde versprochen
lange ersehnt
ich soll es sehen
glaube
warte
jeden Tag neu
Tage, Wochen, Monate, Jahre –
viele Jahre
vertraue
hoffe
zweifle auch
frage mich
wie lange noch
dann der Moment
endlich
loben, preisen, tanzen, jubeln, lachen, erzählen
fühlen wie das Herz vor Freude zu platzen droht
nach Hause gehen
erleben
Liebe gewinnt
sie gehört zum Menschen
ihr folgen
menschlich sein
echt bleiben

©Angelika Kamlage

Vom 20.-23. März 2025 gibt es einen Kurs „Die Kunst des Übergangs“ – Wege in neue Lebensabschnitte im Kloster in Bad Wimpfen. In diesem Rahmen wird es die Möglichkeit geben, dem nachzuspüren, was „echt“ im eigenen Leben ist und in den nächsten Lebensabschnitt trägt. Es gibt noch freie Plätze.

Weihnachten

„Es ist so weit“, sagt der kleine König
„Gut“, antworte ich und stehe auf.

Ich öffne den Schrank und suche nach meinem Mantel. Irgendwo muss er doch sein.
Teuer war er. Prächtig sieht er aus.

„Was machst du?“, fragt mich der König erstaunt
„Ich suche meinen neuen Mantel. Den, den ich mir extra gekauft habe. Du weißt schon, der ganz besondere. Damit werde ich Eindruck machen. Denn der König kommt.“

Schweigend sieht mir der König weiter zu. Schließlich sagt er. „Ja, ER kommt.“

Schließlich ergänzt er: „Dieser ganze Aufwand. Seit Wochen blinkt und leuchtet es überall. Im Radio habe ich ‚Last Christmas‘ schon vor Beginn der Adventszeit gehört. Da waren noch fünf Wochen Zeit bis zum Heiligen Abend. So früh, so bunt, so laut – das wird ein prächtiger Empfang für den König.“

„So ist das eben, wenn ein König kommt.“, antworte ich. Alle kleiden sich prächtig. Es gibt Geschenke. Es wird gesungen und getanzt. Alle möchten gesehen werden. Jeder möchte wichtig sein.“
Ich suche weiter. Plötzlich halte ich inne. Der kleine Mann hinter mir ist so still. Ich drehe mich um. Er schaut mich an – und schweigt weiter.

Schließlich sagt er: „Dieses Getue. Plötzlich ist etwas oder jemand wichtig, der sonst nicht im Fokus ist. Mich schreckt das immer eher ab. Auch dann, wenn es um meine Person gemacht wird. Ja, meine Geschwister und ich tragen eine Krone.“

Er senkt den Kopf und sagt leise: „Doch – wir tragen sie nicht für die Lauten und nicht für die, die sich wichtigmachen. Wir machen die besonderen Momente deutlich. Wir sind Könige für die Hörenden und die Erzählenden. Wir selbst sind nicht falten- und kantenfrei, so wie auch ihr nicht. Wir begleiten euer Leben. Wir sind nicht bequem mit weichen Worten, sondern machen der Wahrheit den Weg frei. Schenken Tränen die Freiheit. Beschenken das Herz mit Wärme. Stellen die Würde eines jeden Einzelnen in den Mittelpunkt. Wie ER. Doch ER ist noch so viel mehr.

Jetzt senke ich den Kopf. Ein wenig schäme ich mich. Wie recht er doch hat. Mal wieder. Nicht Geschenke, nicht Glanz und Gloria sind wichtig in dieser dunklen kalten Nacht, sondern nur das Kind in der Krippe.

Gott kommt. 
Nicht für den mit dem größten Besitz.
Nicht für den mit dem schönsten Mantel.
Nicht für den mit der Krone.
Nicht für den Mächtigen.
Nicht für den von besonderer Wichtigkeit.
Das Kind kommt für alle, die es suchen. Es schaut direkt ins Herz. Sein Lächeln durchdringt jeden Schutzpanzer. Es wärmt das Herz des Menschen. Es macht die Seele satt. Eigene Wünsche werden unwichtig beim Klang seines Lachens. Sehnsüchte treten zurück beim Blick in seine Augen. Ich lasse mich zu deinen Füßen nieder, Gott, und werde reich beschenkt.

Der Retter der Welt: ein Baby. Ein Friedensheld. Ein Lebensfreund für jeden, der mit IHM geht durch dick und dünn.

Der König hebt den Kopf: „Lass uns gehen wie wir sind. So sind wir genug.“
Ich lächle. Wie recht er hat. 

Angelika Kamlage

Am 7. Januar 2025 starten wieder Online-Foto-Exerzitien (https://www.foto-exerzitien.de/foto-exerzitien-online/). Mehr Informationen unter dem Link. 1 Platz ist noch frei.

Vom 20.-23. März 2025 gibt es ein besonderes Angebot für alle, die vor Übergängen stehen. Hier sind noch zwei Plätze frei. (https://www.foto-exerzitien.de/die-kunst-des-uebergangs-maerz-2025-bad-wimpfen/).

#königsgeflüster