Immer mal wieder werde ich in Gemeinden eingeladen, um ein Glaubenszeugnis zu geben. So auch an diesem Wochenende. Das Thema liegt mir besonders am Herzen, deshalb teile ich es auch hier.
Das Evangelium findet sich im Markusevangelium (Mk 4,35-41).
Liebe Gemeinde!
Ein großer Wind zieht auf. Hohe Wellen schlagen an das Boot. Wasser kommt ins Boot. Es ist gefährlich. Die Jünger sind verängstigt. Sie – die erfahrenen Fischer kauern verängstigt in dem Boot. Sind mit ihrer Erfahrung – mit ihren Möglichkeiten am Ende. Und – mit jeder Welle nimmt ihre Angst und Ratlosigkeit zu.
Kennen wir das nicht auch? Ich habe mich beim Hören gefragt, was sind die Stürme meines Lebens? Wo werde ich hin und her geworfen von den Wellen, die mein Lebensboot immer wieder treffen und durcheinander werfen, was ich so schön geordnet hatte? Wo wächst meine Angst und Ratlosigkeit – mit jedem Wasserschwall, der in mein Boot schwappt.
Und ich merke, da fällt mir vieles ein. Von der Enttäuschung darüber, dass sich ein Wunsch nicht erfüllt hat, über einen Streit mit einem lieben Menschen bis hin zum Tod eines Menschen, der meinem Leben immer wieder Ruhe und Sicherheit gab. Dazwischen so viele andere unterschiedliche Lebenssturmerfahrungen.
Wenn ich heute hier in die Runde schaue, sehe ich in viele solch sturmerfahrenen Gesichter. Vielleicht haben auch sie sich gerade an einen besonders herausfordernden Sturm ihres Lebens erinnert.
Der kleine König, den ich heute mitgebracht habe und der hier vorn auf dem Ambo ganz ruhig sitzt, könnte uns von vielen solcher Lebensmomente erzählen. Seit fast zehn Jahren ist er mein ständiger Begleiter bei Workshops, Vorträgen und Exerzitien. Er sitzt inmitten der Menschen und hört zu – mir und mehr noch den anderen.
In Gesprächsrunden geht er von Hand zu Hand; sieht jeden Teilnehmer an – scheint dabei bis ins Herz des Gegenübers zu schauen. Manchmal fließt dann eine kleine Träne als ob sich etwas im Herzen löst, das lange verklebt war. Für mich trägt er die Liebe Gottes in sich, macht uns unsere eigene Stärke und Würde deutlich – in jedem unserer Lebensstürme – vergangen oder gegenwärtig – und ist doch nur aus Holz – aus altem Holz.
Holz, das schon ein Leben vor diesem königlichen Leben hier hatte. Mein König hier wurde aus einem alten Holzbalken gemacht, der in einem Fachwerkhaus verbaut war. Als Trägerbalken eines Wohnhauses hat es schon damals das menschliche Leben begleitet und behütet, hat dabei zugesehen wie Menschen leben und zusammenleben in Freude und Trauer. Hat Schutz geboten bei jedem Sturm.
Mein König heute zeigt zudem deutliche Spuren der vielen Reisen, die wir gemeinsam gemacht haben. Das Gold der Krone ist nicht mehr ganz frisch – an manchen Stellen schon etwas abgegriffen. Der zunächst kleine Riss durch sein Gesicht zeichnet sich von Jahr zu Jahr mehr ab. Wer genau hinsieht, kann sogar erkennen, dass es eine kleine Bruchstelle gibt, die liebevoll von meinem Mann wieder gerichtet wurde.
Und doch ruht er in sich selbst. Würdevoll. Unantastbar. Nichts kann ihn ängstigen.
Manchmal da sitze ich in meinem Büro, schaue ihn an und beneide ihn, um diese unerschütterliche Ruhe in allen stürmischen Lagen. Im Betrachten erkenne ich, wie er seine Achtsamkeit in mein Leben hinein trägt – hineintragen will, wenn ich es zulasse. Er erinnert mich daran, dass ich nicht allein bin. Gott ist da. Ich muss nur seine Hand ergreifen und auf ihn vertrauen.
Wahrscheinlich wissen sie es so gut wie ich:
Das ist einfacher gesagt als es manchmal getan ist. –
Als seien Lebensstürme nicht genug, leben wir auch gesellschaftlich in stürmischen – so empfinde ich das – Zeiten. Da sind so viele Dinge, die mir Angst und Sorgen machen: Die Kriege in der Welt, despotische Diktatoren, Klimakatastrophe, der zunehmende Rechtsradikalismus, der auch in meinem Alltag immer wieder leise spürbar wird.
Resigniert denke ich: Irgendwo scheint immer ein Sturm auf der Welt zu sein. Irgendwo geht immer auch ein Boot unter. Wohin wird das noch führen? Und was kann ich einzelner Mensch schon tun? –
Und doch – ich bin nicht bereit kampflos die Welt, die Gott uns anvertraute, aufzugeben. Den Kopf in den Sand zu stecken. Noch lebt ein Funken Hoffnung in mir, dass wir es schaffen können, halten wir nur zusammen.
Der Schöpfer der Könige – der Theologe und Diakon Ralf Knoblauch aus Bonn – hat mit fünf Mitstreitern eine Initiative zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes ins Leben gerufen. Sie schreiben dazu auf ihrer Homepage: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Art. 1 GG) ist Zusammenfassung, Vermächtnis und elementares Fundament unserer demokratischen Haltung und kulturellen Werte. Dieses Grundgesetz kennzeichnet die „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Diese Grundhaltungen widerspricht allen rechtsextremistischen Bestrebungen, jeglicher Willkür und Unterdrückung, dem Schüren von Angst und dem Versuch der Entwürdigung. Die Menschenwürde eines jeden Menschen ist unverhandelbar.
Ich schließe mich diesen Worten an und meine damit, dass es auch meine Aufgabe ist, dafür einzutreten. Die kleinen Täfelchen, die im Namen der Initiative würde unantastbar in diesen Wochen und Monaten überall in Deutschland geteilt und verteilt werden, erinnern mich daran immer wieder neu.
Noch ein letzter Gedanke zurück an die Jünger. Inmitten des Sturms wecken sie Jesus. Sie vertrauen darauf, dass er es richten wird. Jesus spricht und der Sturm ist ruhig. Ich glaube, eigentlich bedarf es nur meines Vertrauens, dass Gott mitgeht. Ganz so wie es am Ende des Matthäus-Evangeliums heißt: „Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20b)
Was zur Zeit geschieht, werden nicht unsere letzten Sturmerfahrungen sein. Lassen Sie uns zusammenhalten. Einander liebevoll im Blick behalten. Und auf Gott vertrauen, denn er ist jeden Tag bei uns.
Amen.
/©angelika-kamlage.de (23.06.24)
Es gibt noch Plätze in den Foto-Exerzitien auf Spiekeroog. Da kann man Sturm auch mal ganz körperlich stehend am Strand erleben. Ich freue mich, wenn Ihr es weiter erzählt.